DIE VEREINSGESCHICHTE (Auszug aus der Festrede zum 30-Jährigen)
Die "Sing- und Spielschar der Böhmerwäldler aus Ellwangen" feiert heute das 30-jährige Bestehen – doch die Geschichte junger Böhmerwäldler oder junger Schwaben in Böhmerwäldler Tracht lässt sich nicht auf 30 Jahre beschränken.

Es muss rund 50 Jahre zurückgeblickt werden, um die Anfänge der Böhmerwaldjugend in Ellwangen zu beleuchten. Man stelle sich die Situation der jungen Heimatvertriebenen nach dem Krieg vor: Gewaltsam in ein Land abgeschoben, in dem der Krieg seine Spuren hinterlassen hatte, wenig geliebt von den Aufnahmefamilien und kaum Aussichten auf eine Berufsausbildung. Überregional entstand so die Idee, über einen eigenen Verband die jungen Leute zu schulen, ihnen Halt zu geben.
1956 wurde in Ellwangen eine Böhmerwald-Heimatgruppe gegründet, am 15. April desselben Jahres wurde die erste Böhmerwaldjugend Ellwangen ins Leben gerufen. Im Vordergrund stand die Pflege der gemeinsamen Mundart, der überlieferten Lieder und sudetendeutscher Tänze. Gegenseitige Hilfe bei Hausbau oder Existenzgründung war eine Selbstverständlichkeit. An dieser Stelle sei auch an die Gruppenleiter der ersten Jahre erinnert: Franz Gollitscher, Franz Mündl, Johann Steffl. Ende der 50er Jahre schliefen die regelmäßigen Übungsabende, die Fahrten zu Landes- und Bundesverbandswettkämpfen ein.

In den 60er Jahren gab es in einer Hausmusikgruppe, die von Alois Nader und Johann Pöschik geleitet wurde, wieder ein Feld, in dem sich Böhmerwäldler oder deren Nachkommen musisch betätigen konnten.

1972 schließlich kam der entscheidende Impuls von der Heimatgruppe, die unter der Regie von Johann Jungbauer eine Tanzgruppe ins Leben rief. Aus der ging 1975 die noch heute existierende Böhmerwaldjugend hervor. Der erste Leiter war Adolf Grübl, ihm folgten Franz Josef Grill, Richard Pils, Martin Januschko, Rainer Grill und jetzt Claudia Beikircher.

Bis Mitte der 80er Jahre erlebte die Böhmerwaldjugend Ellwangen einen steilen Aufschwung, was die musische Arbeit betraf. Auftritte im In- und Ausland gehörten fest zum Jahresprogramm. Um eine Mitgliederzahl zu nennen: 1984 hatte die Jugendgruppe zusammen mit einer eigenen Kindergruppe 60 Mitglieder. Doch dann kam ein herber Einschnitt: Viele Gruppenmitglieder wurden berufstätig und zogen von Ellwangen weg.
Die musische Arbeit rückte mehr und mehr in den Hintergrund. Kulturelle Fragen und politische Aussagen nahmen breiteren Raum in der Gruppe ein. In dieser Zeit wurde auch - angesichts des Alters einiger Mitglieder - der formelle Schritt zu einer "Spielschar" vollzogen. Dass die Spielschar automatisch Teil der Böhmerwaldjugend ist, als Sudetendeutsche Jugend agieren kann und in die "DJO - Deutsche Jugend in Europa" eingebunden ist, ist satzungsmäßig geregelt.

Der Fall des eisernen Vorhangs bot schließlich neue Möglichkeiten: Bereits 1990 fuhr die Ellwanger Spielschar nach Kaplitz in den Böhmerwald. Wechselseitige Besuche mit Schülern des dortigen Gymnasiums prägten den Terminkalender der Gruppe in den folgenden Jahren. Leider ist diese Beziehung - aus einem personellen Wechsel am Kaplitzer Gymnasium - eingeschlafen.

In den Vordergrund gerückt ist dafür das Auftreten der Ellwanger Spielschar auf europäischer Ebene als kultureller Botschafter Deutschlands. Bei der "Europeade", dem größten Trachten- und Folklore-Spektakel Europas, das jährlich an anderen Orten stattfindet, sind die Trachtenträger aus Ellwangen fest eingebunden. Da die Spielschar ihr Liedgut und ihre Tänze nicht streng an den Grenzen des Böhmerwalds orientiert, wird die Gruppe in allen offiziellen Publikationen bei der "Europeade" als Vertreter des Sudetenlands, Baden-Württembergs und sogar als Vertreter ganz Deutschlands gehandelt. Die Sudetendeutsche Jugend (SdJ) hat die Ellwanger Spielschar daher 1998 als "Gruppe des Jahres" ausgezeichnet: für die europaweite Präsentation des sudetendeutschen Kulturguts und eine damit verbundene sehr gute Öffentlichkeitsarbeit.

In den Jahren nach der Jahrtausendwende gab es die drei wichtigsten Stationen in der jüngeren Vereinsgeschichte: die Gründung einer Musikgruppe, die Gründung einer Kindergruppe und die Gründung eines Chors. Mit Chor und Musikgruppe zusammen kann die Tanzgruppe nun ganze Kulturabende in alleiniger Regie musisch vielfältig gestalten.

Der Kindergruppengründung ging ein langer Entscheidungsprozess voraus. Nicht wegen des Sinns, sondern wegen des zusätzlichen Zeiteinsatzes der Spielscharmitglieder. Aber letztlich überwog die positive Erinnerung etlicher Mitglieder an die frühere Kindergruppe, die von Werner Schenk und Roswitha Haferkorn gegründet und von Gerlinde John und Gabriele Bruns geführt worden war.

Auch die Einbindung in das Ellwanger Vereinsgeschehen klappt hervorragend: Die "Spielschar" war schon Mitveranstalter beim Jubiläum der Rindelbacher Eichkapelle, vertrat die Stadt Ellwangen offiziell bei den Heimattagen in Bopfingen und hat die Heimattage auf dem Ellwanger Schloss mit bewirtschaftet.

Dass sich in der "Sing- und Spielschar der Böhmerwäldler aus Ellwangen" auch viele junge Leute engagieren, die elterlicherseits keine Beziehungen in das Sudetenland haben, spricht für die realitätsbezogenen und zukunftsorientierten Inhalte der Arbeit. Damit kann sich jeder identifizieren, der auf dem Boden des Grundgesetzes steht und für den Menschenrechte keine Floskeln sind, sondern eingefordert gehören.

Dazu müssen natürlich die persönlichen Beziehungen, das Klima innerhalb der Gruppe stimmen. Spaß an der gemeinsamen - sinnvollen - Freizeitgestaltung, Freude über geglückte Auftritte oder Begegnungsfahrten zu anderen Nationen gehören daher ausdrücklich dazu. Die Liste der Länder, welche die "Spielschar" bereits besucht hat, reicht von Portugal im Westen bis Russland im Osten, Dänemark im Norden und Spanien im Süden.

Erlauben Sie mir einen Ausblick in die Zukunft: Ich denke, dass die frühere Böhmerwaldjugend Ellwangen, die heutige Sing- und Spielschar genug Innovationspotenzial hat, damit sie auch in Zukunft bestehen kann.

Trendforscher übrigens betonen, dass zig Fernsehkanäle, das Internet und die Globalisierung den Einzelnen mit Informationen überhäufen, ihm keine Fixpunkte im Leben mehr bieten. Auch wenn die Freizeit angesichts immer stärkerer beruflicher Anspannung abnehmen wird, gewinnt das heimische Umfeld an Bedeutung, weil es überschaubar und greifbar ist.

Die Sing- und Spielschar setzt hier an: Sie bot und bietet das, was nicht zu kaufen ist: Zusammenhalt, gemeinschaftliche Erlebnisse und die Möglichkeit, sich mit individuellen Fähigkeiten und Vorlieben in die musische Arbeit einzubringen.